Transgender Liberation – German Translation

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Transgender-Befreiung: Eine Bewegung, deren Zeit gekommen ist
von Leslie Feinberg

Dotty Ballan mit viel Liebe gewidmet. Sie ermutigte mich, meine Wut zu einer Sprache der Überzeugung zu schmieden, und verteidigte mich lange bevor ich die Worte gefunden hatte. Ich wünsche, sie hätte diesen Text noch lesen können, bevor sie starb. Für mich schwingt ihre Erinnerung bei jedem Wort mit.

Danksagung

An Bob McCubbin, der mir zeigte, wie mensch einen alten Schlüssel benutzt, um neue Türen zu öffnen.

An Preston Wood für sein ständiges Verständnis und seine Ermutigungen.

An die Transgender-Mitglieder unserer Partei für ihre klare Sicht der Dinge und ihre Widerstandsfähigkeit.

Und auch
an die Ortsgruppe Buffalo der Workers World Party für ihre unermüdliche Arbeit,
mehr Bewußtsein über Transgender zu schaffen, und dafür, daß sie eine “befreite Zone” geschaffen
haben, wo ich mich erholen kann, wenn ich mich abgekämpft und geschunden fühle.

Das Schweigen brechen.

Dieser Text stellt einen Versuch dar, den historischen Aufstieg einer Unterdrückungsform aufzuspüren, die bisher keine allgemein
akzeptierte Bezeichnung besitzt. Wir reden hier von Menschen, die den Grenzen HERRschender Geschlechterrollen trotzen.

Geschlechterrolle: Selbstausdruck, Selbstdarstellung, nicht Anatonomie.

Unser ganzes Leben lang wird uns beigebracht, daß Geschlecht und Geschlechterrolle gleichbedeutend sind – Männer sind eben
“maskulin/männlich” und Frauen “feminin/weiblich”. Rosa für Mädchen und blau für Jungs. Es ist einfach “natürlich”, laut dem, was uns erzählt wurde. Doch an der Jahrhundertwende in den Vereinigten Staaten wurde Blau als Mädchenfarbe betrachtet, und Rosa wurde für eine Farbe für Jungen gehalten. Vereinfachte und starre Verhaltensregeln für die Geschlechter sind weder von ewiger Dauer noch natürlich. Sie sind soziale Begriffe, die sich in einem Veränderungsprozeß befinden.

Nichtdestotrotz ist es an sich nicht problematisch, daß es Männer gibt, die für maskulin gehalten werden, sowie Frauen, deren
Selbstausdruck in jenem Teil des Verhaltensspektrums fällt, der als “feminin” gilt. Das Problem besteht darin, daß die vielen Menschen, die in die engen Grenzen dieses sozialen Rahmens nicht hineinpassen, auf vielfältige Weise Gewalt und Verfolgung ausgesetzt sind.

Von daher die Frage: Wer hat diese “Norm” festgelegt? Warum werden manche Menschen für die Form ihrer Selbstdarstellung bestraft?

Heutzutage würde es viele überraschen, zu erfahren, daß die kommunalen Gesellschaften der Antike die Menschen besonders achteten, die die Grenzen der Geschlechterrollen überquerten. Es bedurfte einer blutigen Kampagne seitens der sich herausbildenden herrschenden Klassen, um das ehemals Natürliche in sein Gegenteil zu verwandeln. Dieses Vorurteil, das den Gesellschaften durch die herrschenden Eliten aufgezwungen wurde, dauert heute noch an.

Doch selbst in einer Gesellschaft, in der es strenge soziale Strafen für diejenigen gibt, die sich nicht anpassen können, kann bzw will ein
großer Teil der Bevölkerung ihre Natur nicht ändern. Es ist offensichtlich, daß es viele Möglichkeiten gibt, wie Frauen und Männer sein können; alles in der Naturist ein Kontinuum. Viele der Begriffe, die benutzt werden, um uns zu beschreiben, sind Wörter, die beleidigen und verletzen.

Als ich als Jugendliche angefangen habe, in den Fabriken der Stadt Buffalo zu arbeiten, wurden Frauen wie ich “he-shes” genannt.
Obwohl die “he-shes” in den Betrieben meistens Lesben waren, wurden wir nicht durch unsere sexuellen Vorlieben erkannt, sondern durch unsere Art, unsere Geschlechterrolle auszudrücken.

Es gibt auch andere Wörter, die die breite Pallette von “gender-outlaws” (Geschlechterrolle-Gesetzlosen) bezeichnen:
Transvestiten, Transsexuelle, Tunten oder Drag Queens, Drag Kings oder KVs, Butches, Androgyne, Bikerlesben oder auch Berdache – letzterer ein Begriff, der durch europäische Kolonialisten eingeführt wurde.

Wir haben uns diese Wörter nicht ausgesucht. Die passen nicht zu allen von uns. Es ist schwer, eine Form der Unterdrückung zu
bekämpfen, ohne einen Namen zu haben, der mit Stolz verbunden ist, eine Sprache, die uns ehrt.

In den letzten Jahren haben sich die Anfänge einer “Community” herausgebildet, die manchmal im Amerikanischen als die
“gender-” bzw “transgender-community” bezeichnet wird. (Trans- gender: wörtlich “Geschlechterrolle-überquerend”). Unsere Community besteht aus einer Gruppe verschiedenster Menschen, die wir uns auf vielen verschiedenen Arten definieren. Als Transgender-Menschen verlangen wir das Recht, unsere eigene Selbstdefinitionen zu wählen. Mag sein, daß die Sprache dieser Broschüre schnell überholt erscheinen wird, so wie die Transgender-Community sich zusammenfindet und organisiert – an sich ein wunderschönes Problem.

Wir haben diesen Text in Begriffen verfaßt, die hoffentlich für die überwältigende Mehrheit der arbeitenden und unterdrückten Menschen
dieses Landes verständlich sind, damit er als Werkzeug im Kampf gegen Vorurteile und Gewalt benutzt werden kann. Wir versuchen Wörter zu finden egal wie unausreichend sie sind, die uns verbinden können, die die Ähnlichkeiten bei der Unterdrückung, der wir ausgesetzt sind, festhalten können.

In der englischen Version haben wir uns auch viele Gedanken gemacht über den Gebrauch der persönlichen Fürwörter, um Klarheit und
Sensibilität in einer Sprache zu finden, die nur zwei Geschlechter anerkennt. (Bei der deutschen Version haben wir uns ebenfalls auch viele Gedanken gemacht über den Gebrauch des grammatikalischen Geschlechts, um Klarheit und Sensibilität in einer Sprache zu finden, die zwar drei Geschlechtsmöglichkeiten besitzt, aber dennoch männlich dominiert und geprägt ist).

Große soziale Bewegungen bringen gemeinsame Sprachen hervor, das heißt, Werkzeuge, um Menschen zu erreichen und ein breiteres Verständnis zu erzielen. Doch sind wir weitgehendaus der fortschrittlichen Bewegung ausgeschlossen geblieben.

Es waren schwule Transvestiten – Tunten – die den Kampf um das Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street angeführt haben, einen Kampf, der zur Geburt der modernen Lesben- und Schwulenbewegung führte.

Doch genauso wie die Lesben- und Schwulenbewegung die fortschrittliche Bewegung zu der Einsicht bewegen mußte, daß ein Kampf, der Schulter an Schulter geführt wird, eine stärkere Kraft für Veränderung bildet, so kämpft die transgender community um eine ähnliche Einsicht seitens der Lesben- und Schwulenbewegung.

Viele Menschen glauben, alle “maskuline” Frauen seien Lesben, und alle “feminine” Männer seien schwul. Dies ist ein Mißverständnis. Nicht alle Lesben und Schwule sind transgendered. Transgender-Menschen werden fälschlicherweise als die Spitze der Lesben- und Schwulenbewegung betrachtet. In Wirklichkeit sind diese beiden riesige Gruppen wie Kreise, die sich nur teilweise überschneiden.

Während die Formen der Unterdrückung, die von diesen Gruppen erfahren werden, nicht identisch sind, haben wir trotzdem einen gemeinsamen Feind. “Genderphobie” – die Angst vor einer Überquerung der Geschlechterrollen – soll, wie Rassismus, Sexismus und Homophobie uns gegeneinander ausspielen. Unsere Einigkeit kann uns nur stärken.

Solidarität wird auf einem Verständnis der Gründe dafür aufgebaut, wie Unterdrückung zustandegekommen ist und wer davon profitiert. Wir sind der Meinung, daß revolutionäre Veränderungen in der menschlichen Gesellschaft notwendig sind, um Ungleichheit, Vorurteile und Intoleranz zu beseitigen. Im Sinne des Aufbaus dieser kämpfenden Bewegung wollen wir diese Perspektive vermitteln, die die übergreifenden historischen Entwicklungen und die Gemeinsamkeiten der Frauen und Männer aufzeigt, die den Pfad der Berdache, der Transgender-Menschen, gewandert sind, und die diesen Weg gegangen sind, ob sie dafür geehrt wurden, oder geächtet. Seht uns an. Wir kämpfen um unser Überleben. Hört zu. Wir kämpfen dafür, daß wir gehört werden.

Der Jazzmusiker Billy Tipton ist 1989 im Alter von 74 Jahren gestorben. Er wird aber weniger wegen seiner Musik in Erinnerung bleiben, als wegen der Enthüllung, daß Tipton als Frau geboren wurde. Tipton starb an den Folgen eines blutenden Geschwürs, das er lieber unbehandelt ließ, als einen Arzt aufzusuchen und sich der Möglickeit der Entdeckung auszusetzen.

Nach seinem Tod fing auch folgende Debatte an: Lebte Tipton als Mann lediglich um als Musiker in einer männerdominierten Industrie arbeiten zu können, oder wegen der Unterdrückung vonLesben in der Gesellschaft? Es stimmt zwar, daß die Unterdrückung der Frauen – vor allem im Kapitalismus – einen tiefen und vielfältigen sozialen und wirtschaftlichen Druck ausübt, der Frauen zwingt, als Männer durchzugehen (“passing”), um überleben zu können. Doch ignoriert diese Argumentation Transgender-Frauen, sprich Frauen, die in der Klassengesellschaft für so “männlich” gehalten werden, daß sie extremen Formen der Belästigung und Gefahr ausgesetzt sind. Viele dieser Frauen werden gezwungen, als Männer durchzugehen, um zu überleben. Natürlich erfahren Transgender-Frauen auch den enormen Einfluß der wirtschaftlichen Ungleichheit sowie in vielen Fällen antilesbische Unterdrückung. Diese Faktoren spielen auch eine Rolle dabei, “männliche” Frauen sowie nichttransgender Frauen zum Durchgehen zu zwingen.

Wenn “männliche” Frauen überhaupt anerkannt werden, dann wird suggeriert, daß sie lediglich Produkt eines dekadenten
patriarchalen Kapitalismus seien, und verschwinden werden, sobald die echte Gleichstellung erreicht ist.

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